Liwa - ab die post

Liwa, 20. - 27. Dezember 2011

 

DIE RUB AL KHALI - DAS LEERE VIERTEL

 

Die Rub al Khali ist die grösste Sandwüste der Welt. Sie erstreckt sich über eine Fläche von 780'000 Quadratkilometern und verbindet die vier Länder Saudi-Arabien, Jemen, Oman und VAE. Weil sie zu den einsamsten Regionen der Erde gehört, wird sie auch das leere Viertel genannt.

Im Norden der Wüste befindet sich die grosse Liwa-Oase, wo eine geteerte Strasse mitten ins Dünengebiet führt. Die Stichstrasse endet nach 30 Kilometern bei einem ausgetrockneten Salzsee und der Morheb-Düne. Mit ihren 120 Metern Höhe und aufgrund ihres steilen Anstiegswinkels ist sie bei den Emiratis sehr beliebt für Sandmotorsport.

 

 

ZU GAST BEI DEN SONS OF THE DESERT

 

Perla und Salem müssen irgendwo hinter uns sein. „Abgehängt“, sagt Yusuf stolz. Er hat den Buggie auf den Grat einer Düne manövriert, Motor und Licht sind aus. Ich bin dankbar für die Verschnaufpause. Erstmals wird mir bewusst wo wir uns befinden. Im Licht der Sterne verschmelzen die vielen sanft geschwungenen Hügel zu einer endlosen Dünenlandschaft;  die Rub al Khali, das leere Viertel. Die grösste Sandwüste der Welt. „Wir sind Söhne der Wüste. Das ist unsere Heimat“, sagt Yusuf pathetisch, während er sich seine arabische Pfeife mit Tabak stopft.  Er spricht von der Wüste wie ein König von seinem Reich oder ein Patriarch von seiner Familie. Mit dem Stolz des Eigentümers.

Das Dröhnen eines näherkommenden Motors zerreisst die Stille, Scheinwerferkegel hüpfen in den Dünen auf und ab.Perla und Salem halten nur kurz auf unserer Höhe. Perla das Lachen nicht aus dem Gesicht bringend, Salem den Daumen zeigend.  Dann stürzen sie sich die nächste Düne runter.

Yusuf lässt sich nicht zweimal bitten. Den i-Pod auf voller Lautstärke nehmen wir die Verfolgung auf. Mit Vollgas weiter in die endlose Wüste hinein.

Nach anderthalb Stunden Dünenralley brummt mir der Kopf, wahrscheinlich ein leichtes Schleudertrauma. Immerhin nicht gekotzt.

 

Vor knapp zwei Stunden haben wir die beiden Cousins Salem und Yusuf in Liwa kennengelernt. Liwa ist eine kleine Oase am Rand der Rub al Khali. Salems Familie wohnt in Abu Dhabi, verbringt die Wintermonate aber in der Wüste.Wie jedes Jahr. Hier treffen sich die vielen Cousins, die alle  im Ausland studieren.Für die nächsten Tage dürfen wir ihre Gäste sein, wir schlafen in unserem Bus vor demHaus mit den Türmchen und Zinnen.Neben uns steht ein kleines Beduinenzelt, davor brennt ein Feuer. Sie würden ab und zu auch in der Wüste schlafen, sagt Salem im Schneidersitz am Feuer sitzend. Im grossen Beduinenzelt oder im Harvey. Im Harvey?

Salem nimmt uns mit um Harvey entgegenzufahren. Er wird gerade von Abu Dhabi nach Liwa transportiert. Sie würden Harvey nur in der Nacht verschieben. Am Tag verursache er zu viel Aufsehen, erklärt Salem. Drei von Salems Cousins begleiten den Transport mit ihren wuchtigen Geländewagen. Die Autos wirken winzig im Vergleich zu Harvey, dem Monster-Wohnwagen. 25 Meter lang, vier Meter breit. Hässlich kitschige Langhaarteppiche in den drei Schlafzimmern mit je einem eigenen Bad. Ein grosser Fernseher im 40 Quadratmeter Aufenthaltsraum. Ausfahrbare Balkone. Allein der zum Harvey gehörende Generator ist fast so gross wie unser Bus.

Zurück am Feuer erzählen Salem und Yusuf uns von den Traditionen und der Lebensweise ihrer Vorfahren. Allesamt Kameltreiber, Perlentaucher und Dattelbauern. Deren Erbe soll nicht in Vergessenheit geraten. Deshalb komme die ganze Familie hier in Liwa zusammen um sich auf die alten arabischen Werte zu besinnen.So sitzen die Männer abends am Feuer, braten Fleischspiesse, stopfen starken Tabak in ihre arabischen Pfeifen und trinken arabischen Kaffee aus winzigen Tassen. Die Familie investiert viel Geld in die Kamelzucht, hält sich Dutzende von Falken und lässt ihre Windhunde regelmässig an Rennen teilnehmen.

Salem findet sein Leben unterscheide sich nicht so gross von dem seiner Vorfahren. Er verbringe den Sommer am Meer, den Winter in der Wüste. Er bete fünfmal am Tag und halte noch immer die traditionellen gesellschaftlichen Werte hoch.So kriege ich während unseres Besuchs tatsächlich keine Frau zu Gesicht.Nur Perla darf die Frauen zwei Häuser weiter besuchen. Auch sie sitzen am Feuer vor einem Zelt, auch sie trinken Tee und Kaffee. Eine private weibliche Parallelgesellschaft, die traditionelle Geschlechtertrennung selbst innerhalb der Familie.

Trotzdem wenn Salem sein Leben mit dem seiner Vorfahren vergleicht, unterschlägt er die grosse Armut vor der Entdeckung des vielen Öls und die rasante Entwicklung seither. Er vergisst, dass Abu Dhabi und Dubai vor 40 Jahren noch Dörfer waren und erst Scheich Zayed, der Initiant der VAE, mit seinen Visionen das Land und seine Bewohner in ein neues Zeitalter katapultiert hat.

Salems Vorfahren hatten wohl auch keinen indischen Koch, keine philippinische Hausangestellte, keinen Teeboy aus Bangladesch oder pakistanische Knechte, welche das moderne arabische Leben erst ermöglichen. Salem verschweigt auch die Autobahnen, Wolkenkratzer und Shopping Malls. Die Dünenbuggies mit Corvette Motoren, die Quatts und den Harvey.Ganz zu schweigen vom Lamborghini, dem leibhaftigen Tiger und der Yacht in der Marina von Abu Dhabi.

Salem wischt meine Einwände beiseite: „Egal ob auf dem Kamel oder mit dem Dünenbuggie, egal ob im Beduinenzelt oder im Harvey. Der Sand in der Wüste der Rub al Khali ist seit jeher derselbe.“

 

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