IRAN IM KALEIDOSKOP
Donnerstags stehen in den engen Gassen des Basars in Teheran Schüsseln mit Datteln oder Platten mit Käse und Brot. Jeder soll zugreifen und sich dabei an die verstorbenen Angehörigen des Gönners erinnern. Da wir die Toten nicht kannten, getrauen wir uns nicht zu essen.
Ganze Strassenabschnitte sind gesäumt und Heckscheiben von Autos zugeklebt mit Fotos von den jungen Männern mit grünen Stirnbändern. Sie alle sind tot, gestorben vor über zwanzig Jahren im Krieg gegen Saddams Irak. Jetzt liegen sie auf den riesigen Märtyrer Friedhöfen. Niemand darf sie vergessen, die tapfersten Söhne der islamischen Republik.
Am Jahrestag zur Besetzung der amerikanischen Botschaft werden Schüler in Bussen zur grossen Demonstration herangekarrt. Viele von Ihnen tragen einen Plastiküberwurf mit Zeichnungen von brennenden amerikanischen Flaggen und den Worten „Down with America“, sie skandieren scheinbar lustige Sprüche und schwingen Fahnen. Die Stimmung ist gut, viele winken uns beim Vorbeigehen zu.
Jeder, der Englisch kann, will es uns ausradieren, das falsche Bild das der Westen vom Iran zeichnet. Vor allem auch die Frauen sind bemüht zu zeigen, dass sich hinter den schwarzen Schleiern tatsächlich Menschen verbergen. Sie kommen selbstbewusst auf uns zu, fragen, lachen, erzählen, flirten.
Khomeneis Mausoleum liegt am Rand Teherans, gleich neben dem Friedhof der Märtyrer. Der Parkplatz ist riesig und fast leer, nur wenige Autos besetzen die Plätze in der Nähe der Toiletten. Einige Familien schlafen im Zelt, obwohl die Temperatur in der Nacht unter zehn Grad fällt. Sind es bloss Pilger oder wohnen die etwa hier? Das Mausoleum befindet sich auch über 20 Jahre nach Khomeneis Tod noch immer im Bau. Angeblich weil es nur aus Spendengeldern finanziert wird. Es soll mal ein grosser Komplex werden, von aussen sehen die goldenen Kuppeln bereits imposant aus. Von innen ist das Mausoleum nicht mehr als eine mit Teppichen ausgelegte Lagerhalle. Der Glaskasten um das Grab des Ayatollahs ist mit kleinen Schlitzen für Geldspenden versehen. Die Stimmung ist nicht wie in anderen Mausoleen feierlich oder geheimnisvoll, sondern bedrückend und einengend. Der ganze Komplex wirkt ausdruckslos und verstaubt. Sinnbildlich für Khomeneis Gesellschaftsverständnis.
Wo immer Heidi und Horst mit ihrem pechschwarzen Hund Neo auftauchen, ist die Hölle los. Einige wenige haben Angst vor dem schwarzen Ungetüm und ergreifen die Flucht. Die meisten aber wollen ihn streicheln, tätscheln und mit ihm posieren. Heidi muss sogar Termine für Fotoshootings vereinbaren, um dem Andrang gerecht zu werden. Einmal bittet ein Afghane um ein Büschel Hundehaar. Sein Onkel, ein schwarzer Magier, könne mit schwarzem Hundehaar hexen. Falls es also tatsächlich zum unerklärlichen Mullah-Massensterben kommen sollte, war es Neo.
Im Iran ist die Nase das ästhetisch wichtigste Körperteil. Anders ist es nicht zu erklären, dass sich so viele Iraner für eine kleinere oder geradere Nase unters Messer legen. Das weisse Pflaster über der Nase, welche die Spuren der Operation verdecken, ist ein Statussymbol. Sogar die Schaufensterpuppen tragen weisse Nasenpflaster. Auch Leute deren Nase nie und nimmer operiert ist, tragen ihr Pflaster mit Stolz.
Am ersten Abend in Teheran werden wir von der Sitte gestoppt. Perla hat wohl zu viel Haar gezeigt. Der Mann sieht aus wie ein Polizist, die Frau wie ein Gespenst. Dort wo wir ihr Herz vermuten ist ein grüner Stern auf den Tschador genäht. Wir glauben es ist der Schweizer Pass, der uns aus der Klemme hilft.
Zweihunderttausend Afghanen bauen den Iran. Die meisten von ihnen sind illegal im Land. Zehn Stunden Arbeit am Tag für 15 Franken. Sie werden von den meisten Iranis nicht gemocht, gelten als hinterwäldlerisch und Frauenbelästiger.
Die riesigen Schilder mit Koransuren schmücken die Zäune der islamischen Banken in Esfahan. Warum sie wohl auf Englisch übersetzt sind? Ein Bekehrungsversuch?
Erst gestern haben die USA und Israel mit ihrem Kriegsgerassel begonnen, heute hängt bereits ein Plakat mit Bildern von brennenden Ami und Israel Flaggen. Wenn man immer dieselben Feinde hat, ist es einfach vorbereitet zu sein.
ALLE WOLLEN WEG!
Wir treffen Houman und seine Verlobte Azin zum Essen. Teilung der Rechnung, haben wir von Anfang an ausgehandelt, kein Taroof. Azin ist nur in Teheran auf Besuch, sie hat den Absprung geschafft. Seit drei Monaten studiert sie in Melbourne. Trotzdem ist es Azin extrem wichtig zu zeigen, dass man im Iran keinesfalls hinter dem Mond lebt. Zwar gälten strenge Regeln für die Öffentlichkeit und es werde alles versucht um die Bevölkerung von der restlichen Welt abzukoppeln. „Wir kennen aber so viele Strategien um diesen Regeln auszuhebeln. In unseren Wohnungen leben wir nicht anders als andere junge Leute im Westen. Wir hören dieselbe Musik, kennen die gleichen Filme.“ Die rigorosen Strafen würden nur beschränkt abschrecken. Zum Beispiel sei die Drogenabhängigkeit nach wie vor ein grosses Problem im Iran, obwohl die Todesstrafe am Häufigsten an Drogensüchtigen vollstreckt werde.
Später setzen wir Azin vor der Wohnung ihrer Eltern ab. Zum Abschied geben sich Houman und Azin nicht mehr als die Hand. Hier kennt man sie und man weiss nie wer zuschaut. Azins Eltern wohnen im Norden von Teheran, hier leicht erhöht, ist die Luft besser und das Wasser sauberer als rund um den grossen Basar im Süden der Stadt. In den Süden gehen Azin und Houman selten, dort versammle sich die Masse, der Dreck, die Armut. Und die Prinzipien der islamischen Republik würden mit besonderer Vehemenz gelebt, sagt Houman. Aber auch hier im Diplomatenviertel haben sich die grünen Sittenpolizisten in den letzten Jahren vermehrt wie die Karnickel in Australien.
Kennengelernt haben wir Houman vor zwei Tagen beim Teleqani Park. Er hat uns eingeladen zu einer Führung durch „sein“ Museum. Bis heute nicht eröffnet, soll es dereinst das modernste Museum im Iran sein. Ein weiteres Museum über den Iran-Irak Krieg. Houman arbeitet als Bauingenieur. Er ist stolz auf das Gebäude und die kunstvollen Installationen, interessiert sich aber nicht für deren Botschaft. Tatsächlich ist bei diesem Museum die Form beindruckender als der Inhalt, mehr Kunst- denn Kriegsmuseum.
Houman trägt Dreitagebart, nur gerade heute, wie er versichert, normalerweise sei er glattrasiert. Gesichtsbehaarung hat einen islamischen Touch und den will Houman um alles in der Welt vermeiden. „Nein ich bete nicht und an Gott glaube ich auch nicht“, sagt Houman. Er respektiere zwar alle religiösen Leute, aber die islamische Republik habe für ihn nichts mehr mit Religion zu tun. Man verstecke sich hinter der Religion, um die Bevölkerung zu unterdrücken. Deshalb ging Houman auf die Strasse, „hat böse Wörter gegen die Regierung gerufen“, wie er sagt. Aber die Regierung sitze fest im Sattel und habe auch ihre Anhänger. Das liege unter anderem daran, dass sich die westlichen Länder nicht fair verhalten. Denn der Westen dulde ein israelisches Unrechtsregime über die Palästinenser und versage den Iranern die zivile Nutzung der Nukleartechnologie.
Ja, Houman hat Mut. Nur schon sich mit uns abzugeben kann heikel sein, bei gewissen Leuten Reflexe hervorrufen. Deshalb blickt er sich beim Sprechen um und flüstert die heiklen Namen nur. Als wir verbotenerweise im Golestan Palace fotografieren, wird er sehr nervös.
Er will sich nichts erlauben, nicht jetzt, wo er so nahe am Ziel ist. Denn Houman hat ein Visum für Australien. Es ist sein Visum in die Freiheit. Freiheit im Tausch gegen Heimat. Houman liebt sein Land. Er liebt die legendären Derbys zwischen Persepolis und Esteghlal, seine Leibspeisen Dizi und Kebab, die Dichter Hafez und Saadi. Er mag sogar den Moloch Teheran. „Es wär doch eigentlich alles so schön.“ Aber sie zwingen ihn wegzugehen, „für immer“, sagt Houman.
Wie Houman und Azin geht es vielen Iranern. Jedes Jahr kehren bis zu zweihunderttausend iranische Akademiker ihrer Heimat den Rücken.
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Azin (Mittwoch, 11 Juli 2012 13:45)
dear Perla
hi,how r u ?
how con I translate your texts and convert them to English?
your pictures r amazing :)))