VERBOTEN SCHÖN!
Der grosse Namak Salzsee im Süden Teherans ist von der Dasht e Kavir umschlossen, einer abwechslungsreichen und imposanten Wüstenlandschaft. Verboten schön, wie wir später feststellen sollten. Die riesigen Sanddünen am Rande des Sees erreicht man über eine holprige Piste von Kashan aus. Statt den gleichen Weg zurück zu nehmen wollten wir im Osten den Salzsee umfahren um dann in Varamin im Süden Teherans wieder auf die Schnellstrasse zurückzukehren. Unser Reiseplan führte durch den Nationalpark Kavir. Ein paar hundert Meter hinter der Parktafel, beginnt diese Geschichte.
51 STUNDEN
Schon von weitem sehen wir den Mann auf dem Motorrad. Er sucht die Gegend mit einem Feldstecher ab. Ein weiss-schwarzes Arafattuch verhüllt sein Gesicht. Er trägt eine grüne Kluft, das Gewehr umgehängt. Wir vermuten Jäger, Wilderer im Nationalpark. Wir wollen nichts mit ihnen zu tun haben, nur weiterfahren. Deshalb reagieren wir nicht auf seine Handzeichen. Doch sein Partner kommt mit dem Motorrad angebraust, stellt sich quer auf die schmale von tiefem Sand gesäumte Piste. Er ist aufgebracht, trägt Vollbart und hat stechende, unheimliche Augen. Ein böser Bär. Mitkommen, geben sie uns zu verstehen. Sie sprechen kein Englisch. 15 Kilometer fahren wir zu einem Haus im Nirgendwo, es ist 12 Uhr, wir haben Angst. Sie nehmen uns die Autoschlüssel ab. Drinnen steht ein Fernseher auf einem kleinen Möbel, ansonsten nur Teppiche. Wir sollen uns auf den Boden setzen. Der böse Bär ist Kettenraucher. Arafat sieht ohne Tuch freundlich aber krank aus. Er deutet auf ein kleines Emblem auf seinem Hemd. Enviromental Guard, Parkranger. Wir sind erleichtert: etwas offizielles, keine Wilderer. Mit dem Farsi-Deutsch Dix erklären sie uns, es sei verboten mit dem Auto durch den Park zu fahren. Wir zeigen im Reiseführer stehe das Gegenteil. Der böse Bär serviert Tee. Arafat funkt und wirft sich einen Medikamentencocktail ein, jetzt ist er high. Eine Stunde, sagt er immer wieder. Wir müssen warten, wissen aber nicht worauf. Nach ewigem Schweigen schaltet der böse Bär den Fernseher ein. Nazi-Deutsche sitzen in einem U-Boot und schreien sich gegenseitig auf Farsi an. Ich würde auch gerne schreien. Um drei kommen fünf andere Parkranger. Sie sind alle aufgeregt, taxieren die fette Beute ihrer Kollegen neidisch, schiessen Fotos und filmen uns. Der eine spricht Englisch. Die Polizei komme und nehme uns für weitere Untersuchungen mit in die Provinzhauptstadt Semnan. Die Deutschen laufen mit ihrem U-Boot in den Hafen ein. Die Alliierten bombardieren. Wir fragen, ob wir nicht umkehren könnten, zurück fahren, die Sache vergessen. Um fünf gehen die anderen Ranger wieder. Der böse Bär kocht für uns vier einen komischen Brei. Wir essen ihn mit altem Brot während Jacky Chan alles kurz und klein schlägt. Um acht kommt die Polizei, alle drei in zivil. Der Chef sieht aus wie der kleine Bruder Ahmadinedschads. Seitenscheitel, Bart und dieselben trüben Augen. Sie nehmen uns mit. Ich darf selber fahren, einer sitzt auf dem Beifahrersitz, einer hinten bei Perla. Der Dritte folgt uns mit dem Jeep. Vier Stunden fahren wir im Dunkeln mit Tempo 20 über eine holprige Wellblechpiste bis zur nächsten Rangerstation. Dort übernachten wir. Das Gelände ist eingezäunt und abgesperrt, deshalb dürfen wir im Auto schlafen. Handys und Pässe müssen wir abgeben. Am Morgen um sieben weitere zwei Stunden Holperpiste im Schneckentempo, dann drei Stunden Schnellstrasse. Wir sind erleichtert, als die Provinzhauptstadt vor uns auftaucht. Endlich wird sich alles klären. Doch kurz vor Semnan lassen sie uns auf dem Kiesbett neben der Strasse ausrollen. Plötzlich stehen acht, neun Leute um uns herum. Wir sollen die Autoschlüssel abgeben und uns Augenmasken überziehen. Sie sind schwarz und eng. Man führt uns zu einem bereit stehenden Wagen, er stinkt nach kaltem Rauch, Fahrer und Beifahrer flüstern nur. Sie fahren kurz, vielleicht fünf Minuten, uns kommt‘s vor wie Ewigkeiten. Noch immer mit aufgesetzten Masken werden wir ins erste Untergeschoss eines Gebäudes geführt. Perla stolpert mehrmals. Endlich nehmen sie uns die Masken wieder ab. Der Raum ist düster, Vorhänge verdecken die Oberlichter. Unsere beiden Stühle stehen vor einem Pult in der Ecke. Der Wächter hinter dem Pult kann kein Englisch und stinkt nach Kebab. Wir verlangen nach einem Übersetzer. Nach einer Viertelstunde kommt ein englischsprechender Mann, er hat dasselbe wissende Lächeln wie mein alter Französischlehrer. Er beruhigt uns, stellt viele Fragen. Teile des Verhörs werden mit einer Videokamera aufgezeichnet. Wir erzählen von unserer Reise, dem Trip in die Wüste und unserem Leben in der Schweiz. Wo ist dein Auto? Was ist deine Hautfarbe? Unter anderen Umständen hätte ich ihn ausgelacht für seine dämlichen Fragen. Er scheint gar nicht zu wissen, was vorgefallen ist. Einer kommt mit unserem Laptop, will das Passwort, wir gebens ihm. Dann sind wir wieder allein. Perla tigert im Zimmer umher und malt sich Horrorszenarien aus. Die Ungewissheit und das Warten machen uns verrückt, die Stimmungslage ändert sich stündlich. Mal pessimistisch, mal traurig, mal ab der surrealen Situation lachend, dann wieder völlig emotionslos. Zum Glück haben sie uns nicht getrennt. Ab und zu kommt der Wächter sitzt ein wenig ans Pult, betet demonstrativ vor unseren Augen oder verbreitet einfach nur seinen Kebabduft. Er bringt Essen, natürlich Kebab, wir haben keinen Appetit. Er ist darüber ein wenig besorgt. Installiert uns dafür einen Fernseher. Eine italienische Krimiserie. Wir wollen mit der Schweizer Botschaft sprechen, er sagt warten. Dann um 19 Uhr passiert endlich was. Wieder Augenbinden, wieder eine kurze Fahrt dann im Auto warten. Wir hören wie unser Bus herangefahren wird. Sie nehmen uns die Augenbinden ab. Wir befinden uns im Hof einer Polizeistation. Eine Handvoll Männer steht um unseren Bus herum. Überprüfen, ob nichts fehlt, sagt einer. Die haben wirklich alles auseinander genommen und danach nach bestem Gewissen aufgeräumt. Die Dachbox ist aufgebrochen. Doch wir kriegen alles zurück, die Geheimpolizei scheint fertig mit uns. Wir glauben jetzt gehen zu dürfen. Doch Moritz hat was dagegen. Der nervöse und jeder Zeit Beschäftigung vortäuschende Chef der Polizeistation will uns jetzt auch noch verhören. Er stellt die gleichen Fragen, wir geben die gleichen Antworten. Wir sind jetzt relaxt, die uniformierten Militärpolizisten sind uns viel lieber als die bärtigen Typen in ihren Wollpullovern. Und Moritz finde ich zu Beginn amüsant. Nicht mal der echte Moritz Bleibtreu könnte diese Rolle besser spielen. Als wir aber dann wieder Navi, Kameras und Laptops aus dem Bus holen müssen und Moritz sich jedes Wüstenfoto erklären lässt, schwindet unsere Hoffnung auf Freilassung. Um Mitternacht verlangt er unsere Autoschlüssel. Wir weigern uns. Ich riskiere eine heftige Diskussion, danach lässt er uns doch im Bus schlafen, von einem Polizisten bewacht. In der Nacht rufe ich das Notfalltelefon der Schweizer Botschaft an. Der Mann am Apparat scheint überfordert zu sein, ist aber nett und verspricht uns Unterstützung. Um zwei schlafen wir endlich. Ab sieben wieder warten, Moritz kommt erst um neun. Ihm ist nichts mehr recht, er will uns loshaben. Das scheint aber nicht mehr so einfach. Mächtigere Freunde haben nun auch Interesse an uns. Die jungen Uniformierten, die uns bewachen und dafür auf den Bürostuhl von Moritz sitzen dürfen, versuchen uns aufzuheitern. Wieder vier Stunden warten. Moritz kommt nur ab und zu, er ist jetzt sehr gestresst. Die Botschaft hat sich eingeschaltet. War es ein Fehler die Botschaft zu informieren, erhält die Sache dadurch noch mehr Gewicht? Um eins werden wir wieder abgeholt, wieder Geheimpolizei, diesmal aber ohne Augenbinden. Wieder Wollpullover, Bärte und Fingerringe mit grossen roten Steinen. Drei Männer sind anwesend bei der Befragung. Neue Fragen über unsere Eltern und Geschwister, über Islam, iranische Frauen, Sport, USA, Kopftuch und die Kochkünste meiner Frau. Dann endlich um 15 Uhr, genau 51 Stunden nach unserer Verhaftung im Park sind wir wieder frei.
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Halb-Asiat (Mittwoch, 11 Juli 2012 23:44)
Wow - was für eine Geschichte! Zum Glück ist alles gut gegangen...
Über deine street credibility werde ich nie mehr Sprüche klopfen Dominik ;)