IM KINDERHORT À LA TURKA
Cem betreut rund ein Dutzend Jungen, die meisten im Kindergarten- oder Unterstufenalter. Alle kommen gerne zu Cem. Eben hat ein Vater seinen Sohn hier abgeliefert und diesem zum Abschied aufmunternd den Kopf getätschelt. Die Jungen sitzen hochkonzentriert auf ihren Stühlen, die meisten mit offenem Mund. Ab und zu ist ein verzweifeltes Fluchen zu hören, sonst ist es still. Cem schickt zwei Jungen weg, wir erben ihre warmen Stühle. Auf dem Bildschirm neben mir spritzt besonders viel Blut, einige der Jungs pausieren ihr Spiel um die Künste des besten der virtuellen Kindersoldaten zu bewundern. Aber nur kurz, ihre eigenen Missionen warten. Die Tasten für ‚sich ducken‘ und ‚vorwärts gehen‘ sind bei mir verklemmt. Es ist mühsam so ein Mail zu schreiben. Cem ist der Besitzer eines Internetcafes in einem zweienhalbtausend Seelen Dorf am Schwarzen Meer.
TÜRKISCHE FAUNA
Bei den türkischen Haustieren herrscht eine krasse Klassengesellschaft. Türken verschmähen Hunde und lieben Katzen. Hunde gelten als unrein. Wird ein Hund oder ein Ungläubiger berührt, muss der gläubige Muslim die rituelle Waschung vor dem Gebet wiederholen. Oft werden Hunde mit Steinen verjagt. Viele Türken fürchten sich auch vor den winzigen Hunden der Touristen. Aus rein praktischen Gründen haben die Türken aber trotzdem eine eigene Hirtenhunderasse gezüchtet: Den Kangalhund. Die riesigen Tiere mit gelb-braunem Körper und schwarzem Kopf sollen die Schafe vor Wölfen schützen. In Zentral- und Ostanatolien haben wir sie mit Schafherden und überdimensioniertem Stachelhalsband durch die Täler ziehen sehen. Die wild lebenden Strassenkreuzungen der Kangale gleichen eher Hyänen. Wie Gangs streifen sie in Rudeln durch Städte und Dörfer und tragen nach Sonnenuntergang lautstark ihre Revier- oder Rangordungskämpfe aus. Am Strand wild kopulierend beunruhigen sie die türkischen Wochenendgäste. Die Zitzen der Weibchen, gross wie Euter, berühren beinahe den Boden. Die Rudel sind unheimlich.
Ganz anders die Katzen. Sie werden umsorgt und gehegt. In Istanbul haben sogar viele Hotels mindestens eine Hauskatze. Die im Schaufenster eines Teppichgeschäfts spielenden jungen Katzen haben den praktischen Nebeneffekt, dass sich die eine oder andere ihrem Mutterinstinkt folgende Touristin in den Laden verirrt. Es wird berichtet, bereits der Prophet Mohammed sei ein „Katzenschmöcker“ gewesen. So habe er einmal sogar ein Stück seines Rockes herausgeschnitten, um die auf seinem Schoss schlafende Katze nicht zu wecken.
MIGROS
Gestern waren wir noch schnell im Migros. Im MM in Edirne, einkaufen. Der türkische Migros ist das Ergebnis einer mutigen Expansionsstrategie des schweizerischen Mutterhauses in den 50er Jahren. Seither ist der Migros wie bei uns zur grössten Kette gewachsen. Offiziell hat der türkische Migros seit längeren nichts mehr mit unserem zu tun. Nur Namen und Logos dürfe er weiter verwenden, hab ich gelesen. Kein Migros drin wo Migros drauf steht? Wir haben so viele Gemeinsamkeiten entdeckt, dass ich mir sicher bin Hörbi Bolliger hat in der Teppichetage am Limmatplatz ein rotes Telefon mit Direktwahl nach Istanbul stehen. Der Laden ist gut sortiert, Theken mit frischem Fleisch, Käse, Oliven und Teigwaren wie bei uns. M-Selection und Migros Eigenmarken wie zum Beispiel IAM Pflegeprodukte gibt’s hier zum halben Preis. An der Kasse arbeiten viele Frauen, alle ohne Kopftuch, sie fragen nach der Migroskarte. Die Ökoschiene fährt der türkische Migros auch. Er wirbt mit umweltfreundlich produziertem, frischem Gemüse und verkauft Einkaufstaschen aus Stoff, für die Türkei sehr aussergewöhnlich.
Zugegeben, Unterschiede gibt es auch. Migros Türkei verkauft Efes, Raki, Zigaretten und ein Produkt mit dem Namen „Anali Kizler“ von Knorr im Suppengestell. Alkohol, Tabak und Sextoys im Suppenbeutel - Dutti würde sich im Grabe umdrehen, wüsste er wofür sein Name hergegeben wird.
VERKAUF DICH SELBST
Ein kleiner Ratgeber für alle, die sich im Dienstleistungsbereich selbstständig machen möchten.
Grundsätzlich gilt, der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt. Will man aber richtig Geld verdienen, gilt es im Rahmen des individuell zu erstellenden Businessplans zu beachten, dass jede Dienstleistung ihren spezifischen Ort und ihre Kundschaft hat. Es braucht deshalb ein grosses Feingefühl, um zu spüren welcher Dienst wo angebracht ist. Die folgenden Beispiele sind alle praxisnah und zigfach erprobt.
A
Ort der Dienstleistung: Ampel
Kundschaftssegment: Autofahrer und Beifahrer.
Je nach Art der Dienstleistung ist die passende Ampel, d.h. Ampel mit längerem oder kürzerem rot-grün Zyklus zu wählen. Eventuell muss auch die Tageszeit angepasst werden. Gemeinsam ist den Dienstleistungen an den Ampeln, dass das Zeitfenster um den Service zu erbringen sehr begrenzt ist. Sie müssen also schnell und effizient arbeiten können.
B
Ort der Dienstleistung: Fussgängerzone und Park
Kundensegment: alle und alles
AN TAGEN WIE DIESEN...
….da will ich nur nach Hause. Es ist viel zu heiss, der Bus spinnt, wir haben das Iranvisum noch nicht, ich habe die letzten Nächte schlecht geschlafen und der Bauch schmerzt auch. Überhaupt sind wir schon zu lange in der Türkei. Begegnungen, die sonst spannend und unterhaltsam sind, werden nervig und anstrengend.
Nein chum bitte nöd nöcher, nöd jetzt, schnell weg – z spat…. Perla, es chunt wieder eine….. „Hallo!“…. „Vielen Dank, es ist schön hier zu sein.“….. „Nein nicht Deutschland, Schweiz.“…“Nein Danke, ich rauche nicht“…. „Ah ihr Onkel lebt in Deutschland, interessant“…. „Ja das ist meine Frau. Ja verheiratet.“…. Was meinsch was söllemer säge?.... „Ein Jahr“…. „Kinder? Nein haben wir nicht, später. Haben sie Kinder?“….. „Ah so viele – schön“.... „ja die Türkei ist sehr schön“….“ja dort waren wir“…. „ja dort auch, ja sehr schön“…. „Ja mit dem Wohnmobil. Nein nicht Deutschland, Schweiz.“….. ja ja lueg nur inne…. „es gefällt ihnen – schön.“… „etwa 3000 Euro“…. „Nein die Fahrräder verkaufen wir nicht“…. „Brot haben wir, vielen Dank“… „das hab ich jetzt nicht verstanden – ja, nur sehr wenig türkisch“….. ich glaub er wott ois zum tee trinke ilade. ich mag jetzt nöd…. „nein leider nicht, wir fahren weiter, vielen dank.“ denn fahremer halt nachem choche wiiter, ok? Lug er chunt wieder. „ah nein, wir kochen gerade“….“nein wirklich nicht, vielen dank“….tzz guet dänn nimmis halt – mir händ wieder drü gurke übercho…. „vielen vielen dank, sehr nett.“
REISEN MIT DER NASE
Nicht der Apfeltabak in den Teegärten oder die Kebabspiesse in den Innenstädten, nicht die abgebrannten Weizenfelder oder die Hühnerfarmen bei Überlandfahrten. Nicht die Gewürze im Basar oder das frische Brot und die Süssigkeiten im kleinen Krämerladen. Nicht die frischen Früchte von den Ständen am Strassenrand, nicht die salzige Meeresbrise, nicht die miefenden Leute im Stadtbus. Nicht der Raki in den Mehezane Istanbuls. Nein, die überall frisch geteerten Strassen verbreiten den typischen Geruch der Türkei dieser Tage.
TATORT STRASSE
An die unzähligen Kadaver, die auf der Strasse kleben, gewöhnt man sich nie. Katzen, Hunde, Mäuse, Füchse, Marder, Dachse, Vögel, Schlangen, Schildkröten, Schafe, Esel, Pferde, und vieles Undefinierbares. Immerhin hat mit den kühler werdenden Temperaturen das Massensterben auf unserer Frontscheibe ein Ende. Doch irgendwie hatte das auch etwas Faszinierendes. Zwar schaffen nur wenige Insekten mit ihrem Aufprall ein den Motor übertönendes Geräusch, doch alle hinterlassen sie eine klebrig, schleimige Spur. Manche haben so aussergewöhnlich schön leuchtende farbige Säfte in sich, dass wohl auch ein geübter Maler sie nur schwer so mischen könnte. Je nach Konsistenz des Saftes verleiht der Fahrtwind den Kleksen ihre Form. Mindestens zwei praktische Anwendungen liessen sich aus diesem Phänomen ableiten: 1. am Ende der Fahrt bilden alle Klekse zusammen ein effizientes Instrument, die Grösse der verschiedenen Insektenpopulation im Untersuchungsgebiet zu schätzen. 2. die Frontscheibe mit einem weissen Papier bespannt, liessen sich die Flecken als abstrakte Kunst verkaufen.
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